Liebe Leserinnen, liebe Leser!
Wahrscheinlich waren auch Sie schon einmal mit dem Auto unterwegs, als Sie unerwartet in eine Tempo 30 Zone gerieten. Wahrscheinlich haben Sie Sie sofort den Fuß vom Gas genommen und sind langsamer gefahren. Das war auch gut so! Die Frage ist nur: haben Sie das getan, um einen Unfall zu vermeiden oder einer Strafe zu entgehen oder taten Sie es, weil es Ihnen eingeleuchtet hat, dass die Geschwindigkeitsbegrenzung an dieser Stelle sinnvoll ist? Von der Antwort auf diese Frage hängt ab, von was ich mein Leben bestimmen lassen will. Lasse ich mich von außen leiten, von Schildern und Geboten, also fremdbestimmen oder lebe ich von innen heraus, aus eigener Überzeugung und nehme mein Leben selbst in die Hand?
Dieses Beispiel macht deutlich, worin der eigentliche Sinn des Glaubens liegt. Glaube ist nicht eine Ansammlung von Geboten und Vorschriften, die mehr schlecht als recht eingehalten werden, sondern Glaube ist eine Beziehung zu Jesus Christus, die immer neu am Leben gehalten werden will. Anders gefragt: lebe ich meinen Glauben von außen her, durch das Beachten von Freitagsgebot und Sonntagspflicht oder lebe ich meinen Glauben von innen heraus, aus wirklicher Überzeugung, weil mir die Verbindung zu Jesus Christus wichtig ist? Im Evangelium des 6. Ostersonntags wird eine seltsame Verbindung zwischen diesen beiden Möglichkeiten hergestellt. Da sagt Jesus zu seinen Jüngern: „Wenn ihr mich liebt, werdet ihr meine Gebote halten!“ und ich bin irritiert. Was hat der Glaube mit Geboten zu tun? Natürlich geht es nicht um die zehn Gebote oder die Gebote der Kirche. Vielmehr ist hier das gemeint, was Jesus den Jüngern jeden Tag gesagt und immer wieder ans Herz gelegt hat. Und man hält daran nicht fest, weil man Angst vor Strafe hat, sondern weil man Jesus liebt.
In der Theologie hat immer wieder versucht, einen Gegensatz zwischen den Geboten und der Liebe aufzubauen. Jesus dagegen nennt beides zusammen in einem Satz. Und das sicher nicht ohne Grund! Wer nämlich die Abschiedsreden des Evangelisten Johannes – das sind die letzten vier Kapitel seines Evangeliums - einmal im Zusammenhang liest, der stellt fest, dass das Wort „lieben“ dort über 20mal vorkommt, in den ganzen elf Kapiteln davor dagegen nur ganze siebenmal. Hier dominiert das Wort „glauben“, an Jesus glauben – 67mal! Das ist nicht zufällig so! Offenbar kommt es Jesus darauf an, dass sich das „glauben“ im Laufe des Lebens immer mehr zu einem „lieben“ entwickelt, und das meint deutlich mehr, als sich nach bestimmten Weisungen zu richten. Ostern hat aus der Geschichte des Glaubens eine Geschichte der Liebe gemacht!
Ein weiteres Wort aus dem Evangelium fällt ins Auge. Jesus verspricht seinen Jüngern den „Geist der Wahrheit“, der bei ihnen bleiben und in ihnen sein wird. Neben der Liebe ist also die Wahrheit ein Erkennungsmerkmal für ein Leben aus dem christlichen Geist. Wie aktuell in einer Zeit multimedialer Überflutungen, in denen es manchmal nicht mehr möglich ist, Wahres von Falschem zu unterscheiden, weil auch die verdrehten Aussagen oft in einem so professionellen Gesicht daherkommen, dass es schon eines sehr hohen Maßes an Unterscheidungsfähigkeit bedarf. Und wenn es im Zeitalter von Fake News und Staatsführern, die täglich mehr Lügen verbreiten als belastbare Fakten, hoffähig geworden ist, alles dem subjektiven und egoistischen Nutzen unterzuordnen, dann kann die Bitte um den Geist der Wahrheit nicht laut und eindringlich genug ausgesprochen werden. An dieser Stelle sind auch wir Christen gefordert, uns einzumischen, gegen populistische und menschenverachtende Parolen aufzustehen und zusammen mit Menschen, Gruppen und Initiativen zu verbünden, die sich für einen respektvollen Umgang mit anderen einsetzen.
Wahrscheinlich müssen wir uns immer wieder klarmachen, was für eine Gemeinschaft wir als Kirche sind. Wir sind nicht ein Verein, der zu einem frommen Zweck gegründet wurde. Wir sind ein von Gott gewollter Ort, an dem wir seine Liebe erfahren und weiterschenken dürfen.
Es grüßt Sie herzlich
Pastor Burkhard Pepping