Impulse

Impuls 4. Sonntag der Osterzeit

Liebe Leserinnen, liebe Leser!


Zu den urpersönlichen, unveränderlichen Eigenarten eines Menschen gehört seine Stimme. Sie ist so individuell und persönlich an diesen einen Menschen gebunden wie sein Fingerabdruck, die Linien seiner Hand und die Augen. Wie kostbar unsere Stimme ist, wird uns oft erst bewusst, wenn sie krank ist, heiser und überstrapaziert, geschädigt oder wenn wir sie ganz verloren haben. An der Stimme erkennen wir andere Menschen. Selbst Babys erkennen bereits die Stimme ihrer Mütter. Den Inhalt und die Bedeutung der Wörter verstehen sie noch nicht, aber der Klang der Stimme ihrer Mutter vermittelt ihnen ein Gefühl von Geborgenheit und Schutz. Umgekehrt erkennt auch
eine Mutter die Stimme ihres Kindes. Sie spürt im Schlaf, ob alles in Ordnung ist. Aber auch Erwachsene drücken mit ihrer Stimme ihre momentane Stimmung aus. Bin ich „verstimmt“, wird auch meine Stimme anders klingen, als wenn in meinem Leben alles „stimmt“. Schon am Klang der Stimme kann ich abschätzen, ob mir jemand freundlich oder eher ablehnend gegenübertritt. Die Stimme kann heilen und verletzen, führen und verführen. Im Evangelium des vierten Ostersonntags spielt auch die Stimme eine zentrale Rolle. Weil die Schafe die Stimme ihres Hirten kennen, folgen sie ihm. Sie wissen: er wird sie auf eine gute, fette Weide führen. Und so wie die Schafe auf die Stimme ihres Hirten hören, so sollen die Menschen auf die Stimme ihres „Hirten“, gemeint ist Jesus Christus, hören. Er ist der „gute“ Hirt, der seine Schafe davor bewahrt, dass sich irgendwelche Machthaber und Demagogen über die hermachen, die ihnen zwar schöne Aussichten versprechen, sich ihre Führung aber oft in Millionenhöhe auszahlen lassen. An den Schafen liegt ihnen nichts, nur an ihrer Wolle und an ihrem Fleisch.

Mittlerweile hat das Bild vom Hirten in der Kirche deutliche Risse bekommen. Die Vertrauenskrise ist noch lange nicht überwunden. Es waren nicht „Schafe“, es waren „Hirten“, die sich verirrt haben. Allzu oft haben sie ihre Mitglieder wie Schäfchen behandelt. Sie hielten sie in eingezäunten Hinterhöfen. Schön bewacht und gesichert mit hohen Zäunen und Mauern, um Macht über Menschen auszuüben, sie zu kontrollieren und Gehorsam einzufordern. Ob den Hirten und Oberhirten an den Schafen etwas liegt, wird man auch hier an ihrer Sprache, ihrer Stimme erkennen. Ist es nur die Sprache einer Institution, die da spricht oder die Stimme des guten Hirten?

Ich erinnere mich an ein Gespräch mit einem Hirten, der in der Nähe meines Elternhauses auf einer Wiese seine Schafe hütete. Der Hirte mit den hinter ihm her trottenden Schafe, die von dem Hirtenhund in Schach gehalten wurden, waren für uns Kinder ein vertrautes Bild. Der Hirte erzählte mir, dass er auf seiner Wanderung nicht immer vorne an der Spitze der Herde geht. Oft geht er in der Mitte oder im letzten Drittel, zeitweise auch ganz hinten. Von dort hat er oft den besseren Überblick. Von hier aus kann er sich mehr um die Zurückgebliebenen, die Schwachen und Müden kümmern. Die da vorne sind durchaus in der Lage, sich ihren Weg selber suchen. Angst, dass sie in die Irre gehen könnten, braucht er bei ihnen nicht zu haben.

Mir sagt dieses Bild etwas Wesentliches für unsere Kirche und unsere Gemeinden. Auch hier muss der Platz derer, die sich um Kirche und Gemeinde kümmern, nicht der erste und vorderste Platz sein, der Platz, wo die Funktionäre und Autoritäten sitzen. Der eigentliche Platz der Hirten ist dort, wo die Schwachen und Müden sind, die in unserer Leistungsgesellschaft auf die hinteren Plätze verwiesen sind.

Der hintere Platz, der letzte Platz, war und ist auch der Platz Jesu. Er ist der gute Hirt. Er gibt uns die Richtung vor zu einem Leben in Fülle. Er geht uns voran und leitet uns. Auch wenn uns das Bild von dem Hirten und das Wort von Schafen zuerst fremd vorkommen – dahinter steht ein großartiges Angebot: vertraut mir, vertraut meiner Stimme und meiner Botschaft und handelt danach, dann werdet ihr das Leben in Fülle erhalten. Dass sie sensibel genug sind, die Stimme unseres gemeinsamen Hirten zu hören, Sie aber dann auch den Mut haben, ihr zu folgen, das wünscht Ihnen

                                                      Pastor Burkhard Pepping